Freitag, 21. März 2008

King Abdul-Aziz University, Jeddah

Der erste Programmtag in Saudi-Arabien war am Dienstag. Am Montag morgen waren wir gelandet, der Rest des Tages stand zur freien Verfügung, wie man einigen anderen Berichten bereits entnehmen konnte. Also sammelten wir uns am Dienstag morgen gegen 8.30h, nach einem reichhaltigen Frühstück, in der Hotellobby. Von dort wurden wir in einem eigens für uns zur Verfügung stehenden Kleinbus inklusive Fahrer (dieser Service stand uns während unseres gesamten Aufenthaltes zur Verfügung) zur King Abdul-Aziz University gefahren. Nach kurzer Fahrt durch die Stadt erreichten wir den Campus – und waren beeindruckt. Obwohl man sich über Ästhetik der Architektur streiten kann, fügten sich die aus hell- bzw. sandbraunem Beton errichteten Universitätsgebäude in ihre natürliche Umgebung und erinnerten zumindest mich mit ihrer Farbe an die traditionellen Lehmbauten der Oasen. Umgeben waren diese Gebäude von gepflegt angelegten Blumenbeeten und Palmen, was dem ganzen ein einlandendes Flair verlieh. Vor einem der Gebäude, welches wohl als Konferenz- und Versammlungsstätte bezeichnet werden kann, setzte uns der Bus ab und Mazin, einer unserer beiden Jiddah-Begleiter, nahm uns in Empfang. Nach einem kurzen Gang durch das Gebäude inklusive Aufzugfahrt fanden wir uns ein Stockwerk höher in einem schön eingerichteten Konferenzraum wieder, wo uns der Vorsitzende der Abteilung für Allgemeine Beziehungen empfing. Ihm ist zu verdanken, dass unsere Exkursion überhaupt zustande kommen konnte, da die Uni als unser Gastgeber fungierte.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, während der wir fast ununterbrochen von dem wahrscheinlich universitätseigenen Kameramann fotografiert wurden, bekamen wir einen Informationsfilm über die Universität zu sehen. Im Anschluss daran gab es eine Fragerunde und den obligatorischen Geschenkeaustausch. Obwohl wir durch das ständige Fotografieren und das formelle Ambiente etwas eingeschüchtert waren, fühlten wir uns willkommen geheißen.
Eine Verschnaufpause gab es allerdings nicht; stattdessen begaben wir uns wieder in den Bus und nun wurden die Frauen zum Frauencampus, die Männer – na, wohin wohl – zum Männercampus gefahren. In Saudi-Arabien sind Mädchen und Jungen in allen Bildungsstufen getrennt, teilweise gibt es Unis, die nur Jungen zugänglich sind, wie beispielweise die King Fahd University for Petroleum and Minerals. Diese Tatsache und auch der Fakt, dass nicht alle Fächer, darunter fallen bspw. einige der Ingenieurswissenschaften, von Mädchen studiert werden können, sind in erster Linie der konservativen Vorstellung von Geschlechterrollen, aber auch einfach mangelnden Räumlichkeiten geschuldet. Dennoch gibt es in jüngster Zeit Tendenzen, immer mehr Fächer auch für Mädchen zu öffnen. Interessant ist auch, dass einige Fächer, wie z.B. Innenarchitektur, nur Frauen offen stehen, so jedenfalls in einem Kolleg in Jubail, einer Industriestadt im Osten des Königreiches, die wir auch besuchten. Die praktische Ausbildung der Mediziner findet dagegen ko-edukativ statt, wobei Frauen auch Männer untersuchen können. Bei all den Einschränkungen oder Besonderheiten sollte man wohl den Kontext im Kopf behalten: Ein staatliches Schulwesen gibt es in Saudi-Arabien erst seit den 1960 Jahren. Viele Saudis und Kenner des Landes bestätigen, dass es in den letzten Jahren merkliche Veränderungen, Fortschritte auch die Situation der Frauen betreffend gibt. Mir erschien es oft so, auch in Gesprächen mit jungen Leuten, das ein Spagat versucht wird, wie ihn wohl viele Länder anstreben: Die Einführung und Nutzbarmachung der Zeichen der westlich-technischen Moderne, bei gleichzeitiger Beibehaltung dessen, was als konstituierende und wesentliche Faktoren der eigenen Identität empfunden wird. Das solch ein Unternehmen Widersprüche und Paradoxe mit sich bringt, die noch ausgehandelt werden müssen, versteht sich fast von selbst.
Aber nun weiter im Text: Wir Frauen landeten also in der Frauenfakultät und waren wieder überrascht. Alle Studentinnen auf dem Campus hatten sich ihrer Gesichtschleier und Kopftücher, teilweise auch ihrer Abayyas entledigt. Im Büro der Dekanin des Campus durften wir das gleiche tun, danach gab es in kleinen elektronischen Autos, gefahren von Asiatinnen, eine Tour über den Campus. Zwischen den einzelnen Fakultäten gab es viele Sitzgelegenheiten, oft von an Zelte erinnernde Überdachungen gegen die starke Sonne geschützt. Alles in allem war die Atmosphäre sehr entspannt – entspannter als in andere orientalischen Ländern, wo das Zusammentreffen von Geschlechtern im öffentlichen Raum allzu oft von Fragen wie – was darf man, was darf man nicht? was möchte er? möchte er was? wie reagiere ich angemessen? geprägt ist und somit einer gewissen Anstrengung nicht entbehrt. Den zeitweisen Wegfall dieses Themenkomplex empfand ich als überaus angenehm. Während unserer Tour besichtigten wir die Zentralbibliothek, die Publikationen sowohl in arabischer als auch in europäischen Sprachen bereit hält und genauso wie unsere Unibibliothek auch über ein OPAC-System verfügt. Soweit ich mich erinnern kann, ist die Bibliothek der Jungen den Studentinnen zu bestimmten Zeiten zugänglich und es können auch Bücher von dort bestellt werden. Eine weitere Station auf unsere Tour mit den tollen kleinen Autos war die Fernstudium-Abteilung, die von einer resoluten, energischen Frau geleitet wird, die großen Wert darauf legte zu betonen, dass oft Arbeitstreffen mit den männlichen Gegenparts stattfänden – und zwar „direkte Treffen“, nicht etwa nur durch Video- oder Telefonkonferenzen wie in manch anderen Institutionen.
Nach unserer Tour fanden wir uns im Büro der Dekanin wieder, in dem uns ungefähr ein halbes Dutzend weitere Dozentinnen unterschiedlicher Fachrichtungen erwartete. Während wir saudischen Kaffee tranken, der traditionell in kleinen Tassen serviert wird und mit Gewürzen wie Safran und Kardamom verfeinert ist, und dazu Datteln aßen, gab es wieder eine kurze Vorstellungsrunde. Eine kurze Bemerkung zu Datteln: In Saudi-Arabien gibt es nicht nur Datteln, wie sie in Deutschland bekannt sind, nämlich einfach nur Datteln, nein, es gibt dort mit Nüssen gefüllte Datteln, in eine Honig-Sesamschicht eingekleidete Datteln, mit Schokolade glasierte Datteln…ein Paradies für jemanden, der dieser Frucht verfallen ist.
Bevor dann Fragen gestellt wurde, wurden erst einmal unsere Arabischkenntnisse gepriesen J Und diesmal stellten wir nicht nur Fragen, wir mussten auch auf Fragen antworten. Am meisten interessierte – und das in fast allen noch folgenden Gesprächen und Diskussionen – die Gründen für unsere Studienwahl und für die Beschäftigung mit dem Islam. Daneben wurden wir immer nach unserem Eindruck von Saudi-Arabien gefragt und inwieweit unsere vorherigen Vorstellungen den gewonnenen Erkenntnissen entsprachen. Je nach religiös-politischer Couleur wurden entweder die bereits erwähnten positiven Entwicklungen der letzten Jahre oder aber die (selbst-auferlegte) Rolle Saudi-Arabiens als Hüter des „richtigen Islam“ herausgestellt – oder aber beides. Dabei wurde dann vor allem betont, dass das Königreich noch eine von Traditionen durchsetzte Gesellschaft sei – Traditionen, die dem Geiste des Islam teilweise entgegenstünden und durch neuere Entwicklungen zurückgedrängt werden würden. Vor allem unsere weiblichen Gesprächspartner konnten oft aus ihrer eigenen Rolle Kapital schlagen. Denn wer hätte erwartet, nach allem, was man in gängigen Medien über das Land liest, so viele informierte, religiös und politische aufgeweckte Frauen zu treffen, unabhängig, ob man nun mit der jeweils individuellen Meinung übereinstimmt oder nicht.
Der letzte Punkt unseres Besuchs der King Abdul-Aziz University war ein fürstliches Mittagessen mit den Dozentinnen und zwei Studentinnen.
Nachdem wir uns in das Gästebuch der Universität eingetragen hatten, verließen wir den Frauencampus und trafen im Bus wieder auf unsere Jungs, die so ganz andere Erfahrungen gemacht hatten als wir.

nushin

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